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AB AUF DIE BANK

Würde Joachim Löw sich für den entscheidenden Elfmeter selbst einwechseln, weil er sich für den besten Fußballer der Mannschaft hält? Was Manager von Fußballtrainern lernen können. Von Wolfgang Jenewein und Jonas Halder




Stellen wir uns vor: Fußballweltmeisterschaft, Halbfinale. Thomas Müller sinkt in der 90. Minute im Strafraum nieder, der Schiedsrichter pfeift, es gibt Elfmeter. Das Stadion tobt! Die deutschen Spieler schauen ehrfürchtig zur Seitenlinie. Jetzt ist die Zeit von Joachim Löw gekommen. Er schnürt seine Fußballschuhe, krempelt sich die Ärmel hoch und stürmt mit wehender Mähne auf den Rasen. Feldherrenartig schickt er seine Spieler weg und legt sich die Kugel zurecht. Ein satter Schuss, der Torwart streckt sich vergebens, genau in den Winkel. Deutschland ist im Finale. Über Löw bricht eine Jubeltraube zusammen. Er lässt sich feiern. Der Chef hat es mal wieder gerichtet, als es brenzlig wurde.


Undenkbar, sagen Sie? Warum sollte ein Trainer den entscheidenden Elfmeter schießen? Völlig absurd? Doch genau solche Situationen finden Sie tagtäglich in den Chefetagen der deutschen Unternehmen wieder - in kleinen wie in großen -, quer durch alle Branchen. Die meisten Führungskräfte bezeichnen sich immer noch selbst als ihre besten Spieler. Ein wichtiger Kunde, ein schwieriges Problem, harte Verhandlungen mit dem Lieferanten oder die Präsentation der Ergebnisse vor dem Vorstand. Immer wieder kommt die Führungskraft aufs Feld und versucht, die entscheidenden Tore selbst zu schießen.


Im professionellen Fußball ist der Job des sogenannten Spielertrainers dagegen nahezu ausgestorben, dort verwenden Coachs wie zum Beispiel Jürgen Klopp, Joachim Löw oder Didier Deschamps über 80 Prozent ihrer Zeit darauf, das Beste aus ihrer Mannschaft herauszuholen.


Wir arbeiten mit internationalen Großkonzernen im Bereich der Führungs- und Kulturentwicklung zusammen, beraten Trainer der Fußballbundesliga und haben mit dem Deutschen Handballbund sowie dem Deutschen Fußballbund zusammengearbeitet. Unserer Überzeugung nach sollten Führungskräfte keine Alltagsschlachten mehr schlagen und sich stattdessen immer mehr in Richtung Vollzeitcoach entwickeln.


Wir haben das Phänomen des Spielertrainers näher untersucht und qualitativ wie quantitativ geforscht: zum Beispiel in Form eines sogenannten Shadowing Dutzende Führungskräfte in Großkonzernen und professionelle Sportteams bei der Arbeit begleitet und analysiert, wie viel ihrer Zeit sie für welche Aufgaben verwenden.

Darüber hinaus haben wir qualitative Interviews mit Spielern, Trainern und administrativ verantwortlichen Personen geführt. Weiter haben wir quantitativ die Führungstätigkeit von fast 1000 Managern in Form einer Selbst- und Fremdeinschätzung erhoben.


Unsere Untersuchungen zeigen: Führungskräfte in Unternehmen verbringen den Großteil ihrer Zeit mit Managementaufgaben, die gerade dringlich sind - und sehen sich als Helden des Alltags, die sich tapfer in jede Schlacht werfen. Dabei vergessen sie aber ihre sechs bis zwölf Direct-Reports - ihr Team.


Führung im eigentlichen Sinn, so wie sie Trainer im Fußball praktizieren, in Form von Coaching, Inspiration, Motivation, der Lösung von Konflikten oder Empowerment, ist für viele Manager in Unternehmen meist nur die Residualgröße.


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